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05/12/2008 | ECHTE AUTONOMIE FÜR DAS TIBETISCHE VOLK

I. EINFÜHRUNG
Seit der Wiederaufnahme direkter Kontakte mit der Zentralregierung der Volksrepublik China (VR China) im Jahre 2002 fanden ausgiebige Gespräche zwischen den Gesandten Seiner Heiligkeit des 14. Dalai Lama und Vertretern der Zentralregierung statt. Bei diesen Diskussionen brachten wir die Wünsche der Tibeter klar zum Ausdruck. Der Grundgedanke des Konzepts des Mittleren Weges ist die Gewährleistung echter Autonomie für das tibetische Volk innerhalb des von der Verfassung der VR China gesetzten Rahmens. Ein solches Konzept ist für beide Seiten von Vorteil und geht von den langfristigen Interessen sowohl des tibetischen als auch des chinesischen Volkes aus. Wir bleiben unserer Verpflichtung treu, dass wir weder Abspaltung noch Unabhängigkeit anstreben. Wir suchen eine Lösung für das Tibet-Problem durch echte Autonomie, die im Einklang steht mit den Richtlinien über Autonomie in der Verfassung der Volksrepublik China. Der Schutz und die weitere Entfaltung der einzigartigen tibetischen Identität in all ihren Aspekten dient den höheren Interessen der Menschheit im allgemeinen wie auch denen des tibetischen und des chinesischen Volkes im besonderen.
Während der 7. Gesprächsrunde in Peking am 1. und 2. Juli 2008 forderten der stellvertretende Vorsitzende der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und Minister für Einheitsfrontfragen, Du Qinglin, seine Heiligkeit den Dalai Lama ausdrücklich auf, Vorschläge für die Stabilität und die Entwicklung Tibets zu machen. Der stellvertretende Minister für Einheitsfrontfragen, Zhu Weiqun, erklärte des Weiteren, man wolle unsere Ansichten über Umfang oder Form der von uns angestrebten Autonomie sowie über alle Aspekte der regionalen Autonomie im Rahmen der Verfassung der VR China hören.
Dementsprechend erläutern wir in diesem Memorandum unseren Standpunkt zu einer echten Autonomie und dazu, wie den speziellen Bedürfnissen der tibetischen Nationalität nach Autonomie und Selbstregierung durch Anwendung der in der Verfassung der Volksrepublik China enthaltenen Grundsätze zur Autonomie, so wie wir sie verstehen, entsprochen werden kann. Ausgehend davon ist Seine Heiligkeit der Dalai Lama zuversichtlich, dass die grundlegenden Bedürfnisse der tibetischen Nationalität durch eine echte Autonomie innerhalb der VR China erfüllt werden können.
Die VR China ist ein multinationaler Staat, und wie viele andere Staaten der Welt versucht sie, die Nationalitätenfrage durch Autonomie und Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten zu lösen. Die Verfassung der VR China enthält grundlegende Prinzipien der Autonomie und Selbstverwaltung, deren Zielsetzungen mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Tibeter übereinstimmen. Regionale nationale Autonomie soll die Unterdrückung und Abspaltung von Minderheiten verhindern, indem sowohl dem Han-Chauvinismus als auch dem lokalen Nationalismus eine Absage erteilt wird. Sie soll den Schutz der Kultur und der Identität von Minderheitennationalitäten gewährleisten, indem diese in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln.
Die Bedürfnisse der Tibeter können in einem ganz erheblichen Maße innerhalb der in der Verfassung festgelegten Grundsätze zur Autonomie, wie wir sie verstehen, erfüllt werden. In mehrerer Hinsicht verleiht die Verfassung den staatlichen Organen bei der Entscheidungsfindung und bei der Handhabung des Systems der Autonomie erheblichen Ermessensspielraum. Dieser Ermessensspielraum kann genutzt werden, um dem tibetischen Volk echte Autonomie in einer Art und Weise zu ermöglichen, die der Einzigartigkeit der Situation Tibets Rechnung tragen würde. Die Anwendung dieser Prinzipien könnte unter Umständen zur Folge haben, dass die gesetzlichen Bestimmungen zu bestimmten Aspekten der Autonomie überarbeitet oder geändert werden müssen, um den besonderen Eigenheiten und Bedürfnissen der tibetischen Nationalität Rechnung zu tragen. Wenn beide Seiten Entgegenkommen zeigen, können offene Probleme auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Prinzipien zur Autonomie gelöst werden. Auf diese Weise würden die nationale Einheit, Stabilität und harmonischen Beziehungen zwischen den Tibetern und anderen Nationalitäten gefördert.

II. ACHTUNG DER INTEGRITÄT DER TIBETISCHEN NATIONALITÄT
Die Tibeter bilden ungeachtet der gegenwärtigen administrativen Teilung insgesamt eine einzige nationale Minderheit. Die Integrität der tibetischen Nationalität muss geachtet werden. Das ist der Geist, die Absicht und das Prinzip, die dem verfassungsmäßigen Konzept der regionalen Autonomie sowie dem Grundsatz der Gleichheit der Nationalitäten zugrunde liegen.
Es ist unbestritten, dass alle Tibeter die gleiche Sprache, Kultur und spirituelle Tradition sowie die gleichen Grundwerte und Bräuche teilen, ein und derselben ethnischen Gruppe angehören und ein starkes Gefühl einer gemeinsamen Identität haben. Die Tibeter haben eine gemeinsame Geschichte und blieben auch in Zeiten politischer oder administrativer Teilungen immer durch ihre Religion, Kultur, Bildung, Sprache, Lebensweise und ihren einzigartigen Lebensraum auf einer Hochebene verbunden.
Die tibetische Nationalität lebt in einem zusammenhängenden Gebiet auf dem Hochland von Tibet, wo sie seit Jahrtausenden beheimatet ist und wo sie deshalb die autochtone Bevölkerung darstellt. Im Sinne der verfassungsmäßigen Begriffsbestimmung von nationaler regionaler Autonomie stellen die Tibeter in der VR China eine einheitliche Nationalität auf dem gesamten Hochland von Tibet dar.
Aus den genannten Gründen erkennt die VR China die tibetische Nationalität auch als eine von 55 Minderheitennationalitäten an.

III. ERWARTUNGEN DER TIBETER
Die Tibeter verfügen über eine reiche und individuelle Geschichte, Kultur und spirituelle Tradition, die wertvolle Teile des Erbes der Menschheit darstellen. Die Tibeter möchten nicht ihr eigenes Erbe erhalten, das sie in Ehren halten, sondern auch ihre Kultur und ihr spirituelles Leben und Wissen in einer Art und Weise weiter entwickeln, die den Bedürfnissen und Lebensumständen der Menschen im 21. Jahrhundert entspricht.
Als Teil des multinationalen Staates der VR China können die Tibeter in hohem Maße von der rasanten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung des Landes profitieren. Wir möchten an dieser Entwicklung aktiv teilnehmen und dazu beitragen, aber sicher sein, dass unser Volk dabei nicht seine Identität, Kultur und seine Grundwerte verliert und dass die einzigartige und empfindliche natürliche Umwelt des Hochlands von Tibet, wo die Tibeter seit jeher leben, nicht gefährdet werden.
Die Einzigartigkeit der tibetischen Situation wurde in der VR China zu allen Zeiten anerkannt, sie kommt in den Bestimmungen des 17-Punkte-Abkommens ebenso zum Ausdruck wie in den Erklärungen und der Politik der jeweiligen Staatsführer der VR China; sie sollte daher auch der Definition des Umfangs und der Struktur der besonderen Autonomie zugrunde liegen, die von der tibetischen Nationalität innerhalb der VR China ausgeübt werden kann. Die chinesische Verfassung ist vom Prinzip her so flexibel, dass sie auch auf spezielle Situationen wie die besonderen Eigenarten und Erfordernisse von nationalen Minderheiten angewandt werden kann.
Die Entschlossenheit Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, für das tibetische Volk eine Lösung innerhalb der VR China zu finden, ist klar und eindeutig. Diese Haltung steht voll und ganz im Einklang mit der Erklärung des höchsten Führers Deng Xiaoping, der betonte, dass mit Ausnahme einer Unabhängigkeit alle Fragen auf dem Wege des Dialogs gelöst werden können. Wenn wir uns also dazu bekennen, die territoriale Integrität der VR China uneingeschränkt zu achten, erwarten wir von der Zentralregierung, dass sie die Integrität der tibetischen Nationalität und deren Recht auf eine echte Autonomie innerhalb der VR China anerkennt und uneingeschränkt achtet. Wir glauben, dass dies die Grundlage für die Lösung der Differenzen zwischen uns bildet und zur Einheit, Stabilität und Harmonie unter den Nationalitäten beitragen wird.
Damit die Tibeter eine eigenständige Nationalität innerhalb der VR China werden können, müssen sie sich wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch im gleichen Maße weiterentwickeln, wie sich auch die VR China und die Welt im ganzen entwickelt, wobei die tibetischen Eigenheiten einer solchen Entwicklung zu berücksichtigen und zu pflegen sind. Damit dies geschehen kann, ist es zwingend erforderlich, dass das Recht der Tibeter, sich selbst zu regieren, anerkannt und in dem gesamten Gebiet, in dem sie in kompakten Gemeinschaften innerhalb der VR China leben, in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen, Prioritäten und Eigenheiten der tibetischen Nationalität umgesetzt wird.
Die Kultur und die Identität des tibetischen Volkes kann nur von den Tibetern selbst und von niemandem sonst erhalten und gepflegt werden. Daher sollten die Tibeter in der Lage sein, sich selbst zu helfen, sich selbst zu entwickeln und zu verwalten, wobei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen diesem Ziel und der notwendigen und erwünschten Führung und Unterstützung Tibets durch die Zentralregierung und andere Provinzen und Regionen Chinas gefunden werden muss.

IV. GRUNDBEDÜRFNISSE DER TIBETER
Angelegenheiten der Selbstverwaltung

1) Sprache
Die Sprache ist das wichtigste Kennzeichen der Identität des tibetischen Volkes. Tibetisch ist das vorrangige Kommunikationsmittel, die Sprache, in der die Literatur, spirituellen und historischen Texte sowie die wissenschaftlichen Werke der Tibeter verfasst sind. Die tibetische Sprache steht nicht nur grammatisch auf dem selben hohen Niveau wie das Sanskrit, es ist auch die einzige Sprache, in die aus dem Sanskrit ohne die geringsten Abstriche übersetzt werden kann. Daher besitzt die tibetische Sprache nicht nur die reichste und am besten übersetzte Literatur, sondern nach Meinung vieler Gelehrter auch die reichste und größte Zahl literarischer Werke. Die Verfassung der VR China garantiert in Artikel 4 allen Nationalitäten die Freiheit, „ihre eigene Sprache in Wort und Schrift zu verwenden und weiterzuentwickeln“.
Damit die Tibeter ihre eigene Sprache verwenden und weiterentwickeln können, muss Tibetisch als die hauptsächlich gesprochene und geschriebene Sprache anerkannt sein. Außerdem muss sie die Hauptverkehrssprache in den tibetischen autonomen Gebieten sein.
Dieser Grundsatz wird generell in in Artikel 121 der Verfassung anerkannt, wo es heißt, dass „die Selbstwaltungsorgane der Regionen mit nationaler Autonomie sich in Wort und Schrift der in dem betreffenden Gebiet gebräuchlichen Sprache bedienen“. Artikel 10 des Gesetzes über die Regionale Nationale Autonomie (GRNA) verfügt, dass diese Organe „die Freiheit der Nationalitäten in diesen Gebieten, ihre eigene Sprache in Wort und Schrift zu verwenden und weiterzuentwickeln, garantieren”.
Im Einklang mit dem Prinzip der Anerkennung des Tibetischen als Hauptverkehrssprache in den tibetischen Siedlungsgebieten gestattet das GRNA (Artikel 36) den autonomen Regierungsbehörden auch, „über die bei der Schulung und beim Eintritt in die Armee zu verwendende Sprache“ je nach Ausbildung zu entscheiden. Damit wird anerkannt, dass Tibetisch das Hauptunterrichtsmedium sein kann.
2) Kultur
Das Konzept der nationalen regionalen Autonomie dient hauptsächlich dem Zweck, die Kultur von Minderheitennationalitäten zu bewahren. Deshalb sind in der Verfassung der VR China in den Artikeln 22, 47 und 119 wie auch in Artikel 38 des GRNA Verweise auf den Erhalt der Kultur enthalten. Für die Tibeter ist die tibetische Kultur eng mit ihrer Religion, Tradition, Sprache und Identität verbunden, die auf verschiedene Weise bedroht sind. Da die Tibeter in dem multinationalen Staat VR China leben, muss dieses besondere tibetische kulturelle Erbe durch geeignete Bestimmungen in der Verfassung geschützt werden.
3) Religion
Die Religion ist von grundlegender Bedeutung für die Tibeter, der Buddhismus ist eng mit ihrer Identität verbunden. Wir erkennen die Bedeutung der Trennung von Kirche und Staat an, doch sollte dadurch nicht die Freiheit und die Religionsausübung der Gläubigen beeinträchtigt werden. Für Tibeter ist es unmöglich, sich persönliche oder gemeinschaftliche Freiheit ohne Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit vorzustellen. Die Verfassung erkennt die Bedeutung der Religion an und schützt das Recht, sich zu ihr zu bekennen. Artikel 36 garantiert allen Bürgern das Recht auf die Freiheit der religiösen Überzeugung. Niemand kann einen anderen zwingen, an eine Religion zu glauben oder nicht zu glauben. Jegliche Diskriminierung aus Gründen der Religion ist verboten.
Unter dem Gesichtspunkt internationaler Standards schließt der Verfassungsgrundsatz auch die Freiheit der Glaubens- und Kultausübung ein. Eine solche Freiheit beinhaltet das Recht der Klöster, gemäß der buddhistischen monastischen Tradition organisiert und geleitet zu werden, dass in ihnen gelehrt und studiert werden darf und dass, entsprechend den Regeln, Mönche und Nonnen in beliebiger Zahl und in jeder Altersgruppe aufgenommen werden können. Ebenfalls zu dieser Freiheit gehört der Brauch, öffentliche Unterweisungen zu geben und Ermächtigungen großer Gruppen von Gläubigen vorzunehmen. Der Staat sollte sich nicht in religiöse Praktiken und Traditionen einmischen, wie etwa in die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, die Leitung der klösterlichen Institutionen und die Anerkennung von Reinkarnationen.
4) Bildung
Der Wunsch der Tibeter, in Zusammenarbeit und in Abstimmung mit dem Bildungsministerium der Zentralregierung ein eigenes Bildungssystem aufzubauen und zu verwalten, findet in den Verfassungsbestimmugnen zum Bildungswesen Rückhalt. Das Gleiche gilt für das Bestreben der Tibeter, an der Entwicklung von Wissenschaft und Technik mitzuwirken. Erwähnt sei hier auch die wachsende Anerkennung, welche die buddhistische Psychologie, Metaphysik, Kosmologie und die Erforschung der Funktionsweise des menschlichen Geistes in der wissenschaftlichen Welt finden.
Während gemäß Artikel 19 der Verfassung der Staat im allgemeinen verantwortlich ist, für die Bildung seiner Bürger zu sorgen, wird in Artikel 119 das Prinzip anerkannt, dass die „die Selbstverwaltungsorgane der nationalen autonomen Gebiete das Erziehungswesen auf ihren jeweiligen Territorien selbständig verwalten“. Dieser Grundsatz kommt auch in Artikel 36 des GRNA zum Ausdruck.
Da nicht eindeutig festgelegt ist, wie weit die Autonomie bei der Entscheidungsfindung geht, sollte hier betont werden, dass die Tibeter, was das Erziehungswesen ihrer eigenen Nationalität betrifft, echte Autonomie ausüben müssen, und das wird auch von den Bestimmungen der Verfassung über Autonomie unterstützt.
Was den Wunsch betrifft, zur wissenschaftlichen und technischen Entwicklung beizutragen, wird in der Verfassung (Artikel 119) und im GRNA (Artikel 39) eindeutig das Recht der autonomen Gebiete an, Wissenschaft und Technik weiterzuentwickeln.
 
 
5) Umweltschutz
In Tibet entspringen die großen Flüsse Asiens. Dort finden sich auch die höchsten Berge der Welt und die ausgedehnteste und am höchsten gelegene Hochebene, reiche Bodenschätze, uralte Wälder und viele tiefe, vom Menschen noch unberührte Täler.
 
Der praktische Umweltschutz in Tibet wird durch die traditionelle Achtung des tibetischen Volkes für alle Formen des Lebens gefördert, die es verbietet, einem fühlenden Wesen, ob Mensch oder Tier, Schaden zuzufügen. Tibet war einst ein unberührtes Naturreservat mit einer einzigartigen natürlichen Umwelt.
Heute erleidet Tibets traditionelle Umwelt irreparable Schäden. Die Auswirkungen dieser Schäden machen sich insbesondere auf dem Weideland, auf dem Ackerland, in den Wäldern, in den Gewässern und im Wildbestand bemerkbar.
Angesichts dessen sollte dem tibetischen Volk gemäß Artikel 45 und 66 des GRNA dem tibetischen Volk das Recht gegeben werden, über seine Umwelt zu entscheiden, und es sollte ihm gestattet werden, seine traditionellen Praktiken der Umwelterhaltung anzuwenden.
6) Nutzung der natürlichen Ressourcen
Im Hinblick auf den Schutz und das Management der natürlichen Umwelt sowie die Nutzung von natürlichen Ressourcen gestehen die Verfassung und das GRNA den Organen der Selbstverwaltung der autonomen Gebiete nur eine eingeschränkte Rolle zu (siehe Artikel 27, 28, 45 und 66 des GRNA sowie Artikel 118 der Verfassung, wonach der Staat „die Interessen der (nationalen autonomen Gebiete) in gebührender Weise zu berücksichtigen hat“). Im GRNA wird die Bedeutung anerkannt, die den autonomen Gebieten beim Schutz und bei der Pflege der Wälder und Graslandschaften zukommt (Artikel 27), und ihnen zugestanden, „der sinnvollen Nutzung und Verwertung der natürlichen Ressourcen, zu deren Erschließung die örtlichen Behörden berechtigt sind“, Priorität einzuräumen, doch nur innerhalb des durch die staatliche Planung und die gesetzlichen Bestimmungen abgesteckten Rahmens. Die zentrale Rolle des Staates in diesen Angelegenheiten ist in der Tat in der Verfassung (Artikel 9) verankert.
Die in der Verfassung formulierten Grundsätze zur Autonomie können unserer Ansicht nach die Tibeter nicht wirklich zu Herren über ihr eigenes Schicksal machen, wenn sie nicht in ausreichendem Maße an Entscheidungen über die Nutzung der natürlichen Ressourcen wie Bodenschätze, Gewässer, Wälder, Berge, Wiesen usw. beteiligt werden.
Das Eigentumsrecht am Land ist die Grundlage, auf der die Erschließung der natürlichen Ressourcen, die Erhebung von Steuern und die Einkünfte einer Wirtschaft basieren. Daher ist es wesentlich, dass nur die Nationalität der autonomen Region die gesetzlich verankerte Autorität besitzen darf, Grund und Boden zu übertragen oder zu verpachten, es sei denn, es handle sich um Land in Staatsbesitz. Gleichermaßen sollte die autonome Region so unabhängig sein, dass sie berechtigt ist, parallel zur staatlichen Planung Entwicklungspläne zu erarbeiten und umzusetzen.
7) Wirtschaftliche Entwicklung und Handel
Eine wirtschaftliche Entwicklung Tibets ist willkommen und dringend nötig. Das tibetische Volk ist immer noch eines der wirtschaftlich rückständigsten Völker innerhalb der VR China.
In der Verfassung wird anerkannt, dass den Behörden der autonomen Gebiete eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Gebiete unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und Erfordernisse zukommt (Artikel 118 der Verfassung sowie Artikel 25 des GRNA). In der Verfassung ist zudem der Grundsatz der Autonomie bei der Verwaltung und der Leitung des Finanzwesens verankert (Artikel 117 sowie Artikel 32 GRNA). Gleichzeitig wird dort betont, wie wichtig die Bereitstellung von Geldern und anderweitiger Unterstützung des Staates für die autonomen Gebiete ist, um deren Entwicklung zu beschleunigen (Artikel 122, Artikel 22 GRNA).
In Artikel 31 des GRNA wird zudem die Befugnis autonomer Gebiete anerkannt, besonders solcher, die wie Tibet an andere Staaten grenzen, Grenzhandel sowie wirtschaftlichen Austausch mit anderen Ländern zu betreiben. Die Anerkennung dieser Prinzipien ist für die tibetische Nationalität angesichts ihrer räumlichen Nähe zu anderen Ländern, mit denen sie kulturell, religiös, ethnisch und wirtschaftlich verbunden ist, von großer Bedeutung.
Die Hilfe der Zentralregierung und der Provinzen ist zwar vorübergehend förderlich, doch auf lange Sicht eher abträglich, wenn das tibetische Volk nicht selbständig, sondern von anderen abhängig wird. Daher ist es ein wichtiges Ziel der Autonomie, die Tibeter wirtschaftlich autark zu machen.
8) Öffentliche Gesundheit
Die Verfassung besagt, dass der Staat die Verantwortung für die gesundheitliche und medizinische Versorgung seiner Bevölkerung trägt (Artikel 21). In Artikel 119 steht, dass dies in den Verantwortungsbereich der autonomen Gebiete fällt. Im GRNA (Artikel 40) ist zudem das Recht der Selbstverwaltungsorgane der autonomen Gebiete verankert, „unabhängige Entscheidungen über Pläne zur Entwicklung der örtlichen medizinischen und Gesundheitsdienste zu treffen und sowohl die moderne Medizin als auch die traditionellen Heilsysteme der Nationalitäten zu fördern“.
Das bestehende Gesundheitssystem ist nicht in der Lage, den Bedürfnissen der tibetischen Landbevölkerung gerecht zu werden. Gemäß den genannten gesetzlichen Bestimmungen müssen die regionalen autonomen Organe über die Kompetenzen und die Mittel verfügen, die gesundheitlichen Bedürfnisse der gesamten tibetischen Bevölkerung zu erfüllen. Sie müssen auch die Befugnis haben, die traditionelle tibetische Medizin und das Astrosystem in genauer Befolgung der traditionellen Methoden zu fördern.
9) Öffentliche Sicherheit
Was den Sektor der öffentlichen Sicherheit betrifft, so ist es wichtig, dass die Mehrheit der Sicherheitskräfte aus Angehörigen der lokalen Nationalität besteht, weil sie die Gebräuche und Traditionen vor Ort verstehen und respektieren können.
Häufig liegt die Entscheidungsbefugnis in den tibetischen Gebieten nicht in den Händen der einheimischen tibetischen Behörden.
Ein wichtiger Aspekt von Autonomie und Selbstverwaltung ist die Verantwortung für die interne öffentliche Ordnung und Sicherheit in den autonomen Gebieten. Die Verfassung (Artikel 120) und das GRNA (Artikel 24) betonen die Wichtigkeit der örtlichen Beteiligung und ermächtigen die autonomen Gebiete, ihre Sicherheitskräfte im Rahmen „des militärischen Systems des Staates und unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse sowie mit Zustimmung des Staatsrates” zu organisieren.
10) Regelung der Bevölkerungsmigration
Der grundlegende Zweck der nationalen regionalen Autonomie und Selbstverwaltung ist die Bewahrung der Identität, Kultur, Sprache usw. der nationalen Minderheit und die Gewährleistung, dass sie selbst Herr ihrer eigenen Angelegenheiten ist. Angewandt auf ein bestimmtes Territorium, in dem die nationale Minderheit in einem kompakten Gemeinwesen oder in zusammenhängenden Gemeinschaften lebt, wird das eigentliche Prinzip und der Zweck der nationalen regionalen Autonomie dann missachtet, wenn die Immigration und Ansiedlung in großem Ausmaß der Mehrheitsnationalität der Han und anderer Nationalitäten gefördert wird und erlaubt ist.
Die größeren demografischen Veränderungen im Ergebnis einer solchen Migration werden eher zu einer Assimilation der Tibeter als zu einer Integration der tibetischen Nationalität in die Han-Nationalität führen und nach und nach die einzigartige Kultur und Identität der tibetischen Nationalität auslöschen. Auch verändert der Zustrom großer Massen von Han und anderen Nationalitäten in die tibetischen Gebiete grundlegend die Voraussetzungen, die für die Ausübung regionaler Autonomie erforderlich sind, weil die verfassungsmäßigen Kriterien für die Wahrnehmung der Autonomie – nämlich dass die nationale Minderheit auf einem fest umrissenen Territorium „in kompakten Gemeinschaften lebt“ – durch Zuwanderung und Bevölkerungstransfer verändert und untergraben wird. Wenn derartige Migrationsbewegungen und Ansiedlungsprozesse unkontrolliert weitergehen, werden die Tibeter bald nicht mehr in einem kompakten Gemeinwesen oder zusammenhängenden Gemeinschaften leben und folglich im Sinne der Verfassung zu nationaler regionaler Autonomie nicht mehr berechtigt sein. Das wäre ein direkter Verstoß gegen die Grundsätze der Verfassung zur Behandlung der Nationalitätenfrage.
Es hat in China bereits Fälle gegeben, in denen die Bewegungsfreiheit oder Niederlassung von Bürgern eingeschränkt wurde. Die autonomen Gebiete haben nur ein sehr beschränktes Recht, Maßnahmen zur Kontrolle der Migration in den betreffenden Gebiete zu treffen. Für uns wäre es wesentlich, die autonomen Organe der Selbstverwaltung zu ermächtigen, bezüglich des Wohnrechts, der Niederlassung und der Beschäftigung sowie der wirtschaftlichen Aktivitäten von Personen, die aus anderen Teilen der VR China in tibetische Gebiete auswandern möchten, Entscheidungen zu treffen, um zu gewährleisten, dass die Ziele des Prinzips der Autonomie respektiert und verwirklicht werden.
Es ist nicht unsere Absicht, die Nicht-Tibeter, die sich dauerhaft in Tibet niedergelassen haben und seit langem dort leben oder dort aufgewachsen sind, auszuweisen. Unsere Sorge gilt vielmehr der absichtlich herbeigeführten Zuwanderung vorwiegend der Han, jedoch auch Angehöriger einiger anderer Nationalitäten in viele tibetische Siedlungsgebiete, wodurch die bestehenden Gemeinschaften erschüttert werden und die tibetische Bevölkerung an den Rand gedrängt wird. Zudem stellt ein solcher Prozess eine massive Bedrohung für die empfindliche natürliche Umwelt dar.

11) Austausch mit anderen Ländern in den Bereichen Kultur, Religion und Bildung
Im GRNA wird nicht nur die Bedeutung des Austausches und der Zusammenarbeit zwischen der tibetischen Nationalität und anderen Nationalitäten, Provinzen und Regionen der VR China in den unter die Autonomie fallenden Bereiche wie Kultur, Kunst, Bildung, Wissenschaft, öffentliche Gesundheit, Sport, Religion, Umwelt, Wirtschaft usw. anerkannt, sondern auch das Recht der autonomen Gebiete, solche Austauschbeziehungen mit anderen Ländern zu pflegen (Artikel 42 GRNA).
 
 
V. ANTRAG AUF SCHAFFUNG EINER EINHEITLICHEN VERWALTUNG FÜR DIE TIBEITSCHE NATIONALITÄT INNERHALB DER VR CHINA
Damit die tibetische Nationalität mit ihrer einzigartigen Identität, Kultur und geistlichen Tradition durch die Ausübung der Selbstverwaltung in den erwähnten grundlegenden Lebensbereichen gedeihen und sich entwickeln kann, sollte die gesamte tibetische Gemeinschaft in allen Gebieten, die momentan von der VR China als tibetische autonome Gebiete klassifiziert sind, einer einheitlichen Verwaltung unterstehen. Die gegenwärtige administrative Aufteilung, nach welcher die tibetischen Gemeinden von unterschiedlichen Provinzen und Regionen der VR China regiert werden, schürt die Zersplitterung, wirkt einer einheitlichen Entwicklung entgegen und schwächt die Fähigkeit des tibetischen Volkes, seine gemeinsame kulturelle, spirituelle und ethnische Identität zu schützen und zu stärken. Diese Politik missachtet die Integrität der Nationalität, fördert ihre Zersplitterung und steht daher im Widerspruch zum Geist der Autonomie. Während sich die anderen großen nationalen Minderheiten wie etwa die Uighuren und die Mongolen innerhalb ihrer jeweiligen einheitlichen autonomen Regionen fast komplett selbst verwalten, werden die Tibeter so behandelt, als wären sie nicht eine, sondern mehrere nationale Minderheiten.
Das Bestreben, alle Tibeter, die gegenwärtig in den ausgewiesenen tibetischen autonomen Gebieten leben, unter eine einheitliche Verwaltung zu stellen, steht voll und ganz im Einklang mit dem in Artikel 4 der Verfassung enthaltenen Grundsatz, der auch in Artikel 2 des GRNA festgeschrieben ist, dass „die regionale Autonomie in den Gebieten praktiziert wird, wo die Angehörigen einer nationalen Minderheit in geschlossenen Gemeinschaften leben.“ Im GRNA wird die regionale nationale Autonomie als „politisches Grundprinzip der Kommunistischen Partei Chinas zur Lösung der nationalen Belange in China“ beschrieben, und ihre Bedeutung und ihr Zweck wird im Vorwort so erklärt:
„Die nationalen Minderheiten praktizieren unter einheitlicher staatlicher Führung regionale Autonomie in den Gebieten, in denen sie in kompakten Gemeinschaften leben, und sie richten Selbstverwaltungsorgane zur Ausübung der ihnen durch die Autonomie zuerkannten Vollmachten ein. In der regionalen nationalen Autonomie manifestiert sich die uneingeschränkte Achtung, die der Staat dem Recht der nationalen Minderheiten, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, entgegenbringt sowie sein Bekenntnis zu den Grundsätzen der Gleichheit, Einheit und des allgemeinen Wohlstands aller Nationalitäten.“
Es besteht kein Zweifel, dass die tibetische Nationalität innerhalb der VR China in der Lage sein wird, von ihrem Recht auf Selbstverwaltung und Regelung ihrer inneren Angelegenheiten wirksam Gebrauch zu machen, wenn sie dazu ein Selbstverwaltungsorgan mit rechtlicher Zuständigkeit über die gesamte tibetische Nationalität besitzt.
Im GRNA wird anerkannt, dass die Grenzen der nationalen autonomen Gebiete unter Umständen modifiziert werden müssen. Die Notwendigkeit, die grundlegenden Bestimmungen der Verfassung über die regionale Autonomie im Hinblick auf die Wahrung der Integrität der tibetischen Nationalität anzuwenden, ist nicht nur vollkommen legitim, sondern die administrativen Änderungen, die dazu erforderlich sein könnten, verletzen auch in keiner Weise die Grundsätze der Verfassung. Es gibt mehrere Beispielfälle, wo tatsächlich so vorgegangen wurde.

VI. WESEN UND STRUKTUR DER AUTONOMIE
Der Umfang, in dem das Recht auf Selbstregierung und Selbstverwaltung bezüglich der vorgenannten Themenbereiche wahrgenommen werden kann, ist maßgeblich für den Charakter, den die tibetische Autonomie tragen wird. Die jetzt anstehende Aufgabe ist daher zu untersuchen, wie Autonomie geregelt und praktiziert werden kann, damit sie tatsächlich der einzigartigen Situation und den grundlegenden Erfordernissen der tibetischen Nationalität gerecht wird.
Die Ausübung echter Autonomie würde das Recht der Tibeter beinhalten, ihre eigene regionale Regierung zu bilden, Regierungseinrichtungen zu schaffen und Entwicklungen einzuleiten, die ihren Erfordernissen und ihrer Eigenheit am besten Rechnung tragen. Dazu wäre es notwendig, dass der Volkskongress der autonomen Region die Befugnis bekäme, Gesetze in all jenen Bereichen zu erlassen, die in die Zuständigkeit der Region fallen (d. h. die vorgenannten Themenbereiche), und dass andere Organe der autonomen Regierung bevollmächtigt würden, Entscheidungen autonom zu treffen und umzusetzen. Autonomie beinhaltet auch eine Vertretung der nationalen Minderheit auf nationaler Ebene und ihre sinnvolle Partizipation bei der Entscheidungsfindung in der Zentralregierung. Eine gut funktionierende Konsultation und enge Kooperation der Zentralregierung mit der regionalen Regierung bei Entscheidungsprozessen oder das gemeinsame Fällen von Entscheidungen in Bereichen von gemeinsamem Interesse sind außerdem notwendig, wenn die Autonomie funktionieren soll.
Ein entscheidendes Element echter Autonomie ist die von der Verfassung und anderen Gesetzen vorgesehene Garantie, dass die der autonomen Region übertragenen Rechte und Verantwortlichkeiten nicht einseitig aufgehoben oder abgeändert werden dürfen. Das bedeutet, dass weder die Zentralregierung noch die Regierung der autonomen Region in der Lage sein dürfen, ohne die Zustimmung der jeweils anderen Seite die grundlegenden Merkmale der Autonomie umzugestalten.
Die Parameter und die Besonderheiten einer solchen echten Autonomie für Tibet, die den einzigartigen Erfordernissen und Bedingungen des tibetischen Volkes und der Region wirklich gerecht wird, sollten in Sonderbestimmungen über die Ausübung der Autonomie genau festgelegt werden, so wie es Artikel 116 der Verfassung vorsieht (und Artikel 19 des GRNA verfügt ), oder, falls es als besser erachtet wird, in einem separaten Block von Gesetzen oder Bestimmungen, die zu diesem Zweck verabschiedet werden. Die Verfassung, insbesondere Artikel 31, ist flexibel genug, um zu ermöglichen, dass Sondergesetze verabschiedet werden, die besonderen Situationen wie der tibetischen gerecht werden, wobei das etablierte soziale, wirtschaftliche und politische System des Landes respektiert werden muss.
Die Verfassung sieht in Absatz VI Selbstverwaltungsorgane für die nationalen autonomen Regionen vor und räumt ihnen die Befugnis ein, Gesetze zu erlassen. So bezieht sich Artikel 116 (verfügt in Artikel 19 des GRNA) auf ihre Vollmacht, separate Bestimmungen im Hinblick auf die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenheiten der Nationalität bzw. der Nationalitäten in den betreffenden Gebieten einzuführen. Ähnlich erkennt die Verfassung an, dass die autonomen Verwaltungen in einigen Gebieten (Artikel 117–120) und die autonomen Regierungen berechtigt sind, bei der Umsetzung von Gesetzen und politischen Richtlinien der Zentralregierung und der übergeordneten staatlichen Organe Flexibilität walten zu lassen, um den Gegebenheiten der jeweiligen autonomen Gebiete Rechnung zu tragen (Artikel 115).
Zwar ist in den genannten gesetzlichen Bestimmungen auch von erheblichen Einschränkungen der Entscheidungsbefugnis der autonomen Regierungsorgane die Rede, aber die Verfassung bekennt sich dennoch zu dem Grundsatz, dass die Selbstverwaltungsorgane Gesetze verabschieden und politische Entscheidungen treffen dürfen, welche die Erfordernisse vor Ort berücksichtigen, und dass diese Entscheidungen von den anderweitig, also auch von der Zentralregierung, getroffenen abweichen können.
Obwohl, wie wir gezeigt haben, die Anliegen der Tibeter im Großen und Ganzen mit den in der Verfassung enthaltenen Grundsätzen über Autonomie im Einklang stehen, wird ihre Verwirklichung verhindert, weil es eine ganze Reihe von Problemen gibt, welche die Umsetzung dieser Grundsätze gegenwärtig äußerst schwierig gestalten oder sie ganz wirkungslos machen.
Die Geltendmachung echter Autonomie setzt beispielsweise eine klare Trennung der Gewalten und Verantwortlichkeiten in den jeweiligen Bereichen zwischen der Zentralregierung und der Regierung der autonomen Region voraus. Gegenwärtig besteht keine Klarheit darüber, wie weit die gesetzgebende Gewalt der autonomen Regionen reicht, die überdies sehr eingeschränkt ist. Während also die Verfassung ausdrücklich will, dass die autonomen Regionen in vielen sie direkt angehenden Bereichen Gesetze erlassen können, verhindert Artikel 116 die praktische Umsetzung dieses für die Autonomie so wichtigen Grundsatzes, indem er die vorherige Zustimmung auf höchster Ebene der Zentralregierung, nämlich durch den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (NPC), verlangt. Faktisch sind es aber nur die autonomen regionalen Kongresse, die ausdrücklich einer solchen Zustimmung bedürfen, während die Kongresse der anderen (nicht autonomen) Provinzen der VR China keine vorhergehende Erlaubnis brauchen und sie den Erlass von neuen Bestimmungen einfach nur dem Ständigen Ausschuss des NPC berichten müssen, damit dieser sie „zu den Akten“ nimmt (Artikel 100).
Gemäß Artikel 155 der Verfassung unterliegt die Ausübung der Autonomie ferner einer beträchtlichen Zahl von Gesetzen und Vorschriften. Manche Gesetze schränken die Autonomie der autonomen Regionen faktisch ein, während andere nicht immer miteinander vereinbar sind. Das Resultat ist, dass der genaue Umfang der Autonomie unklar und nicht deutlich festgelegt ist: Er kann durch den Erlass von Gesetzen und Bestimmungen auf höheren staatlichen Ebenen und sogar durch einen Wandel in der Politik einseitig geändert werden. Es gibt auch kein geeignetes Verfahren für Konsultationen oder für die Beilegung von Differenzen, die sich zwischen den Organen der Zentralregierung und denen der Regionalregierung bezüglich der Reichweite und der Ausübung der Autonomie ergeben könnten. In der Praxis schränkt die daraus resultierende Unsicherheit die Regionalbehörden in ihrem Handeln ein und verhindert, dass die Tibeter heute echte Autonomie ausüben können.
Wir wollen in diesem Stadium nicht ins Detail gehen bezüglich dieser oder jener Hindernisse, die der Ausübung echter Autonomie durch die Tibeter im Wege stehen, wir erwähnen sie nur, damit dieser Problemkomplex bei unseren Gesprächen in Zukunft in angemessener Weise angegangen werden kann. Wir werden mit unserem Studium der Verfassung und anderer relevanter gesetzlicher Bestimmungen fortfahren und zu einem geeigneten Zeitpunkt gern eine weitere Analyse dieser Themen vorlegen, so wie wir sie verstehen.

VII. DER WEG IN DIE ZUKUNFT
Wie wir zu Beginn dieses Memorandums erklärt haben, wollen wir prüfen, wie die Bedürfnisse der tibetischen Nationalität innerhalb des von der VR China gesetzten Rahmens erfüllt werden können, denn wir sind überzeugt, dass diese Bedürfnisse mit den Grundsätzen der Verfassung über Autonomie durchaus vereinbar sind. Wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama bei mehreren Gelegenheiten sagte, haben wir keine Hintergedanken. Es liegt nicht in unserer Absicht, ein etwaiges Abkommen über echte Autonomie als Sprungbrett für eine Abtrennung von der VR China zu nutzen.
Die Tibetische-Regierung-im-Exil hat das Ziel, die Interessen des tibetischen Volkes zu vertreten und in seinem Namen zu sprechen. Daher wird sie nicht länger gebraucht und aufgelöst werden, sobald eine Übereinkunft zwischen uns zustande gekommen ist. In der Tat hat Seine Heiligkeit wiederholt seine Entscheidung betont, zu keinem Zeitpunkt in Zukunft jemals ein politisches Amt in Tibet zu übernehmen. Seine Heiligkeit der Dalai Lama beabsichtigt jedoch seinen ganzen persönlichen Einfluss geltend machen um sicherzustellen, dass ein solches Abkommen die notwendige Legitimität besitzt, um die Unterstützung des tibetischen Volkes zu erhalten.
Angesichts der von uns eingegangenen festen Verpflichtungen schlagen wir vor, dass der nächste Schritt in diesem Prozess die Übereinkunft wäre, ernsthafte Gespräche über die in diesem Memorandum vorgebrachten Punkte zu führen. Zu diesem Zweck schlagen wir vor, dass wir uns nach Absprache auf einen für beide Seiten akzeptablen Mechanismus oder Mechanismen sowie auf einen zeitlichen Rahmen einigen, der eine effektive Arbeit gewährleistet. 

 

OTHER LANGUAGES
MEMORANDUM SULLA EFFETTIVA AUTONOMIA PER IL POPOLO TIBETANO
AUTONOMÍA GENUINA PARA EL PUEBLO TIBETANO
MEMORANDUM ON GENUINE AUTONOMY FOR THE TIBETAN PEOPLE
Mémorandum sur une autonomie réelle pour le peuple tibétain